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Physik

Unerwarteter Überschuss in der kosmischen Strahlung

Zu hoher Anteil schwerer Wasserstoffkerne könnte auf unerkannten Prozess hindeuten

AMS-Detektor
Der AMS-Detektor auf der Internationalen Raumstation ISS (weißer Kasten oben in der Mitte) hat unerwartete hohe Anteile schwerer Wasserstoffkerne gemessen. © NASA

Lücke in den Modellen? Ein Teilchendetektor auf der Internationalen Raumstation ISS hat überraschende Messergebnisse zur kosmischen Strahlung geliefert. Demnach enthält sie deutlich mehr Deuteronen – Kerne des schweren Wasserstoffs – als sie dürfte. Dieser Überschuss ist nicht durch sekundäre Prozesse wie Kollisionen im interstellaren Medium erklärbar, wie die Physiker der AMS-Kollaboration berichten. Der schwere Wasserstoff muss daher durch einen noch unbekannten Prozess im frühen Kosmos entstanden sein.

Wasserstoff ist das häufigste und ursprünglichste Element im Kosmos, es wurde schon direkt nach dem Urknall gebildet. Dabei entstanden neben dem normalen Wasserstoff auch schwerere Isotope des Elements, darunter das Deuterium. Dieses besitzt zusätzlich zu einem Proton ein Neutron im Atomkern. Der gängigen Theorie nach konnten sich solche Deuteron-Kerne aber nur in den ersten Minuten nach dem Urknall bilden. Später reichten die Neutronendichte und die Energie nicht mehr aus, ein großer Teil der primordialen Deuteron-Kerne reagierte weiter zu Helium.

In der kosmischen Strahlung sind jedoch bis heute Deuteron-Kerne nachweisbar – wenn auch nur in sehr geringen Anteilen. Der Theorie nach handelt es sich dabei jedoch fast nur um sekundäre Deuteronen – schwere Wasserstoffkerne, die nachträglich durch Kollisionen von Helium-Atomen mit dem interstellaren Medium entstanden sind.

Deuteron-Anteil
Verhältnis von Deuteronen und Helium-4 in der kosmischen Strahlung. Rot: Messwerte des AMS-Detektors; Grün und Blau: Prognostizierte Resultate zweier theoretischer Modelle, grau: Messwerte anderer Experimente. © AMS Collaboration/ Physical Review Letters, CC-by 4.0

Zu viele energiereiche Deuteronen

Jetzt sorgt ein Messergebnis von der Internationalen Raumstation ISS für Aufsehen. An ihrer Außenseite ist das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) installiert – ein Teilchendetektor für kosmische Strahlung. Seit 2011 hat dieses Instrument mehr als 233 Milliarden Teilchen der kosmischen Strahlung registriert, darunter auch Antimaterie-Partikel, Helium-Kerne und energiereiche Protonen. Jetzt haben Physiker der AMS Collaboration diese Daten ausgewertet, um den Anteil der Deuteron-Kerne erstmals genauer zu bestimmen.

Das Ergebnis: Von 2011 bis 2021 hat der AMS-Detektor rund 21 Millionen kosmische Deuteronen eingefangen – für sich genommen sagt dies noch nicht viel aus. Als die Physiker jedoch diesen Wert im Vergleich zur Zahl der Protonen und der detektierten Helium-3- und Helium-4-Kerne betrachteten, zeigte sich etwas Unerwartetes: Die Zahl der Deuteronen war in bestimmten Energiebereichen weit höher als sie den theoretischen Modellen nach sein dürfte.

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„Die Signifikanz dieser Abweichung liegt bei zehn Sigma“, wie das Team berichtet. Damit ist eine bloß zufällige Schwankung nahezu ausgeschlossen.

Nicht durch sekundäre Prozesse erklärbar

Wie aber ist dies zu erklären? Gängiger Theorie nach entstehen sowohl Helium-3 als auch Deuteronen durch Kollisionen von Helium-4 mit dem interstellaren Medium. In der kosmischen Strahlung müssten daher die Anteile von Helium-3 und Deuteronen mit dem der Helium-4-Kerne gekoppelt sein. Doch genau das ist laut den AMS-Daten nicht der Fall: Ab einer bestimmten Energie entkoppelt sich das Deuteron-Helium-4-Verhältnis von dem des Helium-3 zu Helium-4, wie die Physiker feststellten.

„Dies ist unerwartet und zeigt erneut, wie wenig wir noch über die kosmische Strahlung wissen“, sagt Samuel Ting, Sprecher der AMS Collaboration. Der überraschende Überschuss von Deuteronen lege nahe, dass diese schweren Wasserstoffkerne nicht durch sekundäre Kollisionen im interstellaren Medium entstanden sein können – denn dann müssten die Anteile auch bei höheren Energien proportional sein. Doch das ist nicht der Fall.

Unerkannte Quelle im frühen Kosmos?

Die Physiker der AMS Collaboration schließen daraus, dass rund 9,4 Prozent der von ihrem Instrument eingefangenen Deuteronen primordialen Ursprungs sein müssen. Das ist weit mehr als es gängige Modelle vorsehen. Wie Ting erklärt, muss es demnach einen noch unbekannten Prozess geben, durch den diese Deuteronen im frühen Kosmos gebildet wurden. Wie dieser Prozess jedoch aussah, ist unklar.

Das AMS-Team hofft nun, dass ein kommendes Upgrade ihres Detektors helfen wird, das Rätsel zu lösen. Denn dieser soll die Menge der eingefangenen Teilchen und die Präzision ihrer Bestimmung stark erhöhen. (Physical Review Letters, 2024; doi: 10.1103/PhysRevLett.132.261001)

Quelle: CERN

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